Das ist Fatigue bei Krebs
Menschen mit Krebs sind häufig kraft- und antriebslos. Mediziner bezeichnen diese Müdigkeit als Fatigue. Der Begriff beschreibt das subjektive Gefühl, wie stark Körper, Seele und geistige Fähigkeiten beeinträchtigt sind. Es handelt sich also um eine besonders ausgeprägte Form der Erschöpfung. Fatigue schränkt die Aktivität und Leistungsfähigkeit erheblich ein. Das Fatigue-Syndrom kann eine direkte Folge der Krebserkrankung selbst (tumorbedingte Fatigue) sein oder eine Nebenwirkung der Therapien.
Der auffälligste Unterschied zu anderen Erschöpfungszuständen: Auch durch viel Ruhe und Schlaf lässt sich Fatigue bei Krebs nicht beseitigen. Die Müdigkeit erscheint anhaltend und unüberwindbar. Das Maß der Anstrengung oder Aktivitäten steht in keinem Verhältnis zum Grad der Erschöpfung. Eine bleierne Schwere kann selbst Alltägliches wie Duschen oder Telefonieren zum Kraftakt werden lassen.
Fatigue ist also mehr als nur eine chronische Müdigkeit. Das erhöhte Ruhebedürfnis kommt scheinbar aus dem Nichts und lässt sich weder durch Schlafmangel noch Anstrengung erklären. Manche Betroffene fühlen sich vor allem körperlich schwach und möchten möglichst viel ausruhen. Tagsüber sind sie ständig müde. Bei anderen zeigen sich vorwiegend psychische Symptome der Fatigue: Sie sind antriebslos und niedergeschlagen. Ihnen fehlt jegliches Interesse. Fatigue kann sich aber auch durch Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit oder Wortfindungsstörungen äußern.
Bei diesen Krebsarten tritt Fatigue auf
Besonders oft tritt Fatigue bei Leukämien, Lymphomen (Lymphdrüsenkrebs) und Brustkrebs auf. Fatigue kann aber auch eine Nebenwirkung der Krebstherapie sein, vor allem bei einer Bestrahlung oder Chemotherapie. Behandlungen können etwa die Bildung neuer Blutzellen im Knochenmark beeinträchtigen. Die Anzahl der roten Blutkörperchen nimmt dann ab, der Körper wird schlechter mit Sauerstoff versorgt und kann weniger leisten. Aber auch ein gestörter Hormonhaushalt oder die eingeschränkte Funktion von Lunge, Herz, Nerven oder Muskeln können Einfluss nehmen.
Während oder kurz nach einer Therapie erleben bis zu 90 Prozent der Patient:innen Fatigue-Beschwerden. In der Regel legen sich die Symptome nach etwa drei Monaten. Sie können aber auch über Monate anhalten oder später – auch Jahre nach Abschluss der Therapie – erneut auftreten. Laut Schätzungen leiden 20 bis 50 Prozent der Menschen mit Krebs über einen längeren Zeitraum unter außergewöhnlicher Erschöpfung, unter chronischer Fatigue.
Ständig müde und schlapp: So gehen Sie damit um
Machen Sie sich klar, dass die Müdigkeit häufige Begleiterscheinung einer Krebserkrankung ist. Fatigue tritt akut während einer Krebstherapie bei den meisten Betroffenen in unterschiedlicher Ausprägung auf. Lassen Sie trotzdem mögliche körperliche Ursachen wie eine Anämie, Mangelernährung oder eine Schilddrüsenunterfunktion ärztlich abklären. Solche organischen Störungen sind gut behandelbar.
Fatigue-Patient:innen sollten ihre Kraft gut einteilen. Finden Sie heraus, welche Tätigkeiten im Alltag Ihnen viel abverlangen. Ein Tagebuch kann dabei helfen. Schreiben Sie auf, wie Ihr Tag abläuft und wie Sie sich bei welchen Aktivitäten fühlen, körperlich wie seelisch. Setzen Sie Ihre Prioritäten neu: Strukturieren Sie Ihren Tag so, dass Sie wichtige Dinge auf Zeiten verlegen, in denen Sie sich dafür fit genug fühlen.
Steigern Sie die Aktivitäten behutsam. Bauen Sie beispielsweise eine Mittagspause ein, aber vermeiden Sie, sich nur noch auszuruhen. Übermäßige Schonung bessert die Fatigue-Symptome nicht – so der aktuelle wissenschaftliche Stand.
Bewegung hilft gegen die Erschöpfung
Es scheint paradox, doch Bewegung ist ein wirksames Mittel gegen Fatigue – Schonung ist kontraproduktiv. Fachleute raten: Beginnen Sie sanft und steigern Sie Ihr Training in kleinen Schritten. Muten Sie sich nicht zu viel zu. Spazieren Sie durch den Park oder Wald oder gehen Sie zügig um den Häuserblock. Bauen Sie gezielt Bewegung in Ihren Alltag ein – Treppe statt Aufzug, Rad statt Auto. Schwimmen, Nordic Walking oder Rudern sind als Ausdauersportarten gut geeignet.
Tanz, Yoga oder ein angeleitetes Krafttraining stärken die Muskulatur. Fällt es Ihnen durch eine Gruppe leichter, sich aufzuraffen? Schließen Sie sich einer Krebs- oder Reha-Sportgruppe an. Das Training verbessert Kraft und Ausdauer, es endet meist mit Entspannungsübungen. Am besten beginnen Sie damit schon während Ihrer stationären Therapie.
Das können Sie noch gegen Fatigue bei Krebs tun
- Erholsamer Schlaf: Halten Sie die Schlaf- und Wachphasen in einem ausgewogenen Verhältnis. Wenn Sie trotz Müdigkeit schlecht einschlafen, kann Ihr Arzt oder Ihre Ärztin kurzfristig schlaffördernde Medikamente verordnen. Vorsicht: Das ist keinesfalls eine Dauerlösung.
- Stress reduzieren: Entspannungstechniken wie die Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Qigong oder Meditation können Ihnen das Abschalten erleichtern.
- Ausgewogene Ernährung: Essen Sie ausgewogen und trinken Sie ausreichend, mindestens anderthalb Liter pro Tag. Lassen Sie sich von Ernährungsberater:innen unterstützen, Ihren Speiseplan anzupassen. Eine Ernährungsberatung bieten viele Krebszentren und Reha-Kliniken an. Verzichten Sie kurz vorm Schlafen auf schwer verdauliche Speisen und aufputschende Getränke.
- Medikamente: Ob bestimmte Wirkstoffe gegen Fatigue helfen, wird in Studien erforscht. Methylphenidat, das bei ADHS eingesetzt wird und anregend wirkt, oder entzündungshemmende Steroide (Kortison) haben jedoch auch starke Nebenwirkungen. Der Nutzen bei Fatigue ist derzeit nicht sicher belegt. Das gilt auch für Antidepressiva. Daher wird Fatigue in der Regel ohne Arzneimittel behandelt. Seien Sie mit freiverkäuflichen Vitaminpräparaten oder Mineralstoffen vorsichtig. Ihre Wirksamkeit ist nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Sprechen Sie vor einer Einnahme mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
Therapeutische Unterstützung bei Fatigue
Psychoonkolog:innen helfen Ihnen, Strategien zu entwickeln, wie Sie mit Fatigue umgehen können oder besser damit zurechtkommen. Chronische Fatigue und Depression lassen sich nur schwer voneinander abgrenzen. Psychologische Unterstützung kann bei beidem helfen. Verhaltenstherapien und Psychotherapien mit achtsamkeitsbasiertem Ansatz haben sich bei Fatigue bewährt. Psychosoziale Beratung hilft Ihnen bei konkreten Sorgen weiter und kann Sie bei allem, wozu akut die Kraft fehlt, unterstützen.