Viele Patienten mit Krebserkrankungen wollen selbst zum Erfolg ihrer Behandlung beitragen, auch bei Prostatakrebs. Die Deutsche Krebsgesellschaft schätzt, dass etwa die Hälfte aller Betroffenen eine ergänzende Behandlung aus der Komplementärmedizin bzw. Alternativmedizin nutzt. Solche Therapien wurden meist deutlich schlechter untersucht als die Behandlungen, die Fachärzt:innen für Krebserkrankungen durchführen.
Was verstehen Ärzt:innen unter evidenzbasierter Medizin bei Prostatakrebs?
Zur Abgrenzung: Bei Prostatakrebs und bei allen anderen Krebserkrankungen setzen Ärzt:innen auf das Konzept der evidenzbasierten Medizin – und nicht allein auf individuelle Erfahrungen. Ihr Ziel ist, Menschen auf der Grundlage aktueller Forschungsergebnisse und klinischer Erfahrungen bestmöglich zu versorgen. Es geht darum, fundierte Entscheidungen zu treffen und Methoden oder Therapien auszuwählen, die sich in Studien als wirksam und sicher gezeigt haben.
Bei Arzneimitteln sind sogenannte randomisiert-placebokontrollierte Studien der Goldstandard. Was verbirgt sich hinter dem Begriff? Teilnehmende der Studie werden zufällig in zwei oder mehr Gruppen aufgeteilt. In der Kontrollgruppe erhalten Patient:innen eine Standardbehandlung, ein Placebo (ein wirkstofffreies Präparat) oder keine Behandlung. Patient:innen und Forscher:innen wissen während der Laufzeit der Studie nicht, wer zu welcher Gruppe gehört.
Auch bei Patienten mit Prostatakrebs, die sich Hilfe aus der Komplementärmedizin bzw. aus der alternativen Medizin wünschen, steht an erster Stelle die Frage, ob hochwertige wissenschaftliche Veröffentlichungen solche Ansätze untermauern – oder nicht.
Komplementärmedizin oder alternative Medizin – wo liegt der Unterschied?
Der Begriff „Komplementärmedizin“ bezieht sich auf Therapien, die in Verbindung mit der evidenzbasierten Medizin zum Einsatz kommen. Sie sollen etablierte Verfahren ergänzen (komplementieren), aber nicht ersetzen. Dazu zählen beispielsweise Akupunktur oder Yoga zusätzlich zu konventionellen Behandlungen zur Schmerzkontrolle bei Patienten mit einem Prostatakarzinom.
Im Unterschied dazu umfassen die Begriffe „alternative Medizin oder Alternativmedizin“ Behandlungen, die anstelle evidenzbasierter Therapien bei bestimmten Erkrankungen wie Prostatakrebs ausgewählt werden. Beispiele sind pflanzliche Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel, die Patienten mit einem Prostatakarzinom anstelle der ärztlich verordneten Medikamente einnehmen.
Im Rahmen der integrativen Medizin werden Strategien der evidenzbasierten Medizin, der alternativen Medizin und der komplementären Medizin kombiniert.
Komplementärmedizin – diese Ansätze können bei Krebs helfen
Falls Sie als Patient mit Prostatakrebs überlegen, eine Therapie aus der Komplementärmedizin einzusetzen, lohnt sich ein Blick in die leicht verständliche, gut lesbare Patientenleitlinie Komplementärmedizin. Sie fasst zusammen, welche Ergänzungen zur evidenzbasierten Medizin bei Krebserkrankungen einen Nutzen bringen können. Dazu zählen …
- Akupressur bei Tumorscherzen, bei chronischer Erschöpfung (Fatigue) und bei Übelkeit beziehungsweise Erbrechen in Zusammenhang mit der Krebsbehandlung.
- Akupunktur bei chronischer Erschöpfung (Fatigue), Tumorschmerzen oder Nervenschmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit/Erbrechen und Mundtrockenheit in Zusammenhang mit der Therapie.
- Ingwer zusammen mit speziellen Medikamenten bei Übelkeit und Erbrechen in Zusammenhang mit einer Chemotherapie.
- Bewegung/Sport bei chronischer Erschöpfung (Fatigue).
- Meditation bei depressiver Verstimmung oder Stress in Zusammenhang mit der Krebserkrankung.
- Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-based Stress Reduction, MBSR) bei Stress, Schlafstörungen und bei chronischer Erschöpfung (Fatigue).
- Tai-Chi und Qigong bei depressiver Verstimmung oder bei Schlafstörungen in Zusammenhang mit der Therapie.
- Yoga bei Erschöpfung (Fatigue) in Zusammenhang mit einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung.
- Bewältigungsstrategien (Coping), um mit der Erkrankung besser umzugehen.
Komplementärmedizin – von diesen Verfahren ist abzuraten
In der Patientenleitlinie Komplementärmedizin sprechen sich Expert:innen aber auch explizit gegen einige Verfahren aus:
- Aloe vera zum Schutz der Haut bei einer Strahlentherapie,
- Carnitin oder Vitamin E zum Schutz der Nerven bei einer Chemotherapie,
- Bioenergiefeld-Therapien bei Angst, depressiver Verstimmung oder Fatigue in Zusammenhang mit einer Chemotherapie,
- Guaraná bei Fatigue in Zusammenhang mit einer Chemotherapie,
- Vitamin E bei einer Schleimhautentzündung in Zusammenhang mit der Chemotherapie,
- schwedische Massage gegen Fatigue, Ein- und Durchschlafstörungen.
Welche Risiken bringt die Alternativmedizin bei Prostatakrebs mit sich?
Noch ein Blick auf die Alternativmedizin und auf deren Risiken. Forschende aus den USA haben Daten von 1,9 Millionen Patient:innen mit Brust‑, Prostata-, Lungen- oder Darmkrebs ausgewertet. Sie fanden heraus, dass Patient:innen, die sich für alternative Therapien entscheiden, die evidenzbasierte Behandlung der Ärztin oder des Arztes oft ablehnen. Dies stand mit einem zweifach höheren Sterberisiko in Verbindung. Zum Vergleich zogen die Wissenschaftler:innen Personen heran, die sich gegen die Alternativmedizin entschieden hatten (Kontrollgruppe).
Welche Risiken bringt die Komplementärmedizin bei Prostatakrebs mit sich?
Therapien der Komplementärmedizin beim Prostatakarzinom sind aber auch nicht immer harmlos. Wie kann das sein? Viele Patienten bekommen von ihrer Ärztin oder von ihrem Arzt Medikamente verordnet. Pflanzliche Medikamente, beispielsweise Echtes Johanniskraut, können mit diesen Arzneimitteln in Wechselwirkung treten. Der Spiegel im Blut kann ansteigen oder nach unten gehen, je nach Kombination. Höhere Spiegel führen zu mehr Nebenwirkungen; zu niedrige Spiegel gefährden den Erfolg einer evidenzbasierten Krebstherapie.
Deuten Ärzt:innen solche Wechselwirkungen fälschlich als Nebenwirkungen ihrer Behandlung, ändern sie womöglich ohne Not die Behandlung. Das kann auch bei Bestrahlungen zutreffen: Manche Patienten mit Prostatakrebs nehmen große Mengen Vitamin C ein. Dieses Nahrungsergänzungsmittel aus der Komplementärmedizin schützt den Körper vor der schädlichen Wirkung freier Radikale. Freie Radikale entstehen beispielsweise durch UV-Strahlung, Umweltgifte oder Rauchen. Sie schädigen Zellen des Körpers. Bei Strahlentherapie ist allerdings genau dieser Zelltod gewünscht. Vitamin C kann den Behandlungserfolg gefährden.
Wo finden Sie Rat und Hilfe?
Wer plant, bei Prostatakrebs eine Behandlung aus der Komplementärtherapie in Anspruch zu nehmen, sollte zuvor unbedingt mit den behandelnden Ärzt:innen sprechen, um die evidenzbasierte Krebstherapie nicht zu gefährden. Rat und Hilfe finden Patienten mit Prostatakarzinom auch beim Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe (BPS) e.V.